Grabungen belegen Zuzug von Frauen
Im Lechtal vor 4000 Jahren war die Mobilität Einzelner üblich. Zur Familiengründung kamen zahlreiche Frauen aus der Ferne. Dieses Muster lässt sich über Jahrhunderte hinweg nachweisen.
Das zeigen archäologische Auswertungen im Rahmen eines Forschungsverbunds unter der Leitung von Philipp Stockhammer vom Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie der LMU und naturwissenschaftliche Analysen unter der Leitung von Corina Knipper vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie sowie Alissa Mittnik und Johannes Krause am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena und der Universität Tübingen. Die Ergebnisse sind aktuell in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. „Individuelle Mobilität hat das Leben der Menschen in Mitteleuropa bereits im 3. und frühen 2. Jahrtausend stark geprägt“, sagt Philipp Stockhammer. Die Forscher vermuten, dass sie eine wesentliche Rolle für den Austausch von Kulturgütern und Ideen spielte, der in der Bronzezeit deutlich zunahm, was wiederum die Entwicklung neuer Technologien förderte.
Zu dieser Zeit lebten in Süddeutschland Ackerbauern und Viehzüchter, deren Vorfahren etwa 3000 Jahre zuvor über das Karpatenbecken aus Anatolien und Syrien eingewandert waren. Im Rahmen der Untersuchung wurden seit dem Jahr 2012 die menschlichen Überreste von 84 Individuen genetisch und mittels Isotopenanalysen untersucht und archäologisch ausgewertet. Sie waren zwischen 2500 und 1650 vor Christus in Gräberfeldern bestattet worden, die jeweils zu einem einzelnen Gehöft gehörten und zwischen einer und mehreren Dutzend Bestattungen über einen Zeitraum mehrerer Generationen aufwiesen. „Die Gehöfte reihten sich entlang einem fruchtbaren Lössrücken in der Mitte des Lechtals. Größere Dörfer gab es zu dieser Zeit im Lechtal nicht“, sagt Stockhammer.
„Die genetischen Analysen zeigen eine große Diversität weiblicher Linien, das deutet darauf hin, dass mit der Zeit zahlreiche Frauen aus der Fremde kamen“, sagt Alissa Mittnik. Corina Knipper ergänzt: „Auch anhand der Analyse von Strontium-Isotopenverhältnissen in Backenzähnen, die Rückschlüsse auf die Herkunft der Personen erlauben, konnten wir feststellen, dass die Mehrheit der Frauen nicht aus der Region stammte“. Die Art ihrer Beisetzung, die sich nicht von der Einheimischer unterschied, zeigt zudem, dass die Frauen in die lokale Gemeinschaft integriert waren.
Aus archäologischer Sicht belegen die neuen Erkenntnisse die Bedeutung weiblicher Mobilität für den kulturellen Austausch in der Bronzezeit. Zudem ermöglichen sie einen neuen Blick auf den immensen Umfang früher menschlicher Mobilität: „Es scheint, dass zumindest ein Teil dessen, was bislang als Migration von Gruppen bewertet wird, auf einer institutionalisierten Form von Mobilität Einzelner beruht“, sagt Stockhammer.